Was, wenn du deine Immobilie verkaufen willst, aber nicht aus deinem Zuhause ausziehen möchtest? Und was, wenn du damit gleichzeitig dein Einkommen im Alter sichern willst? Die Lösung: eine Leibrente mit Immobilienverkauf. Dieses Modell ist kein Nischentrick mehr - es ist ein etabliertes Instrument, das seit Jahren Tausende Senioren in Deutschland nutzt. Im Jahr 2024 wurden über 12.000 solcher Verträge notariell beurkundet, und das Marktvolumen lag bei 2,3 Milliarden Euro. Doch hinter der scheinbaren Einfachheit steckt ein komplexes Geflecht aus Steuervorschriften, rechtlichen Fallstricken und sozialen Folgen, die viele nicht sehen, bis es zu spät ist.
Wie funktioniert eine Leibrente eigentlich?
Du verkaufst deine Immobilie an einen Käufer - meist eine Firma, aber auch eine Privatperson - und bekommst dafür im Gegenzug lebenslang eine monatliche Zahlung: die Leibrente. Gleichzeitig bleibst du oft weiterhin in deiner Wohnung oder deinem Haus wohnen. Der Käufer wird neuer Eigentümer, du bleibst Mieter mit einem besonderen Recht: dem Wohnrecht. Die Höhe der Rente hängt von deinem Alter, dem Wert der Immobilie und der vereinbarten Laufzeit ab. Ein 75-Jähriger, der eine Wohnung im Wert von 300.000 Euro verkauft, erhält typischerweise zwischen 800 und 1.100 Euro monatlich - je nach Anbieter und Vertragsbedingungen.
Das Besondere: Du bekommst kein Geld auf einmal, sondern über viele Jahre. Das ist gut, wenn du kein großes Kapital verwalten willst, aber schlecht, wenn du plötzlich eine hohe Ausgabe brauchst - etwa für eine neue Heizung oder eine Pflegebedürftigkeit. Denn die Leibrente ist kein Bargelddepot. Sie ist eine laufende Zahlung, die nur solange fließt, wie du lebst. Stirbst du früher, endet die Zahlung - es sei denn, du hast eine Garantiezeit vereinbart.
Welche rechtlichen Grundlagen gelten?
Der Vertrag ist kein normaler Kaufvertrag. Er ist ein Leibrentenvertrag und wird nach den Paragraphen 194 bis 203 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Das bedeutet: Er muss notariell beurkundet werden. Kein Handshake, kein E-Mail-Vertrag - nur ein notariell beglaubigtes Dokument ist rechtsgültig. Das kostet zwischen 1.200 und 1.800 Euro, aber es ist notwendig. Ohne Notar ist der Vertrag ungültig.
Ein guter Vertrag enthält drei essenzielle Punkte: Erstens, die genaue Höhe der monatlichen Rente und wann sie fällig ist. Zweitens, ob und wie sie an Inflation angepasst wird - das ist entscheidend. Wer heute 1.000 Euro bekommt, hat in 15 Jahren mit 700 Euro Kaufkraft zu kämpfen, wenn nichts angepasst wird. Drittens, die Garantiezeit. Die meisten seriösen Anbieter bieten 10 bis 15 Jahre an. Das bedeutet: Selbst wenn du nach fünf Jahren stirbst, zahlt der Käufer weiter - bis die Garantiezeit abgelaufen ist. Ohne diese Klausel riskierst du, dass deine Erben nichts mehr sehen.
Ein häufiger Fehler: Verträge mit Verwandten. Du verkaufst deine Wohnung an deine Tochter und bekommst eine Leibrente. Klingt logisch. Aber das Finanzamt prüft solche Verträge besonders genau. Der Bundesfinanzhof hat 2022 entschieden: Wenn die Immobilie weitervermietet wird, kann der Ertragsanteil zwar als Werbungskosten abgesetzt werden - aber nur, wenn die Rente tatsächlich marktgerecht ist. Ein zu niedriger Betrag wird als Schenkung gewertet - und das kann steuerliche Folgen haben.
Wie wird die Leibrente besteuert?
Die gute Nachricht: Du zahlst nicht die gesamte Rente an das Finanzamt. Nur ein Teil ist steuerpflichtig - der sogenannte Ertragsanteil. Der Rest gilt als Rückzahlung des Verkaufserlöses und ist steuerfrei. Die Höhe des Ertragsanteils hängt nur von deinem Alter ab, wenn die erste Rente gezahlt wird - nicht vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Das ist ein entscheidender Punkt, den viele falsch verstehen.
So sieht die Staffelung 2025 aus:
- 65-66 Jahre: 18 % steuerpflichtig
- 70-71 Jahre: 16 %
- 75-76 Jahre: 13 %
- 80-81 Jahre: 10 %
- 85-86 Jahre: 7 %
- 97+ Jahre: 1 %
Beispiel: Du bist 76, bekommst 1.000 Euro Rente pro Monat. Davon sind nur 130 Euro steuerpflichtig. Wenn dein sonstiges Einkommen - etwa Rente oder Zinsen - unter 9.744 Euro im Jahr liegt, zahlst du gar keine Steuer. Das ist ein großer Vorteil gegenüber einer klassischen Immobilienvermietung, wo du den gesamten Mietgewinn versteuern musst.
Aber Achtung: Diese Zahlen werden sich ändern. Das Bundesfinanzministerium prüft seit 2024, ob die Altersstaffelung an die gestiegene Lebenserwartung angepasst werden muss. Experten rechnen damit, dass ab 2026 die Ertragsanteile leicht steigen - etwa auf 20 % für 75-Jährige. Wer jetzt einen Vertrag abschließt, sichert sich die günstigeren Regeln.
Was passiert mit der Grundsicherung?
Das ist der größte Fallstrick, den fast jeder unterschätzt. Wer Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe) bezieht, verliert sie, sobald er eine Leibrente erhält. Denn die Leibrente wird als Einkommen gewertet - und zwar zu 100 %. Jeder Euro Leibrente wird von der Grundsicherung abgezogen. Ein Beispiel: Du bekommst 850 Euro Leibrente und hattest vorher 800 Euro Grundsicherung. Jetzt bekommst du nur noch 50 Euro - und hast trotzdem keine zusätzliche finanzielle Luft. Du hast deine Wohnung verloren, aber kein größeres Einkommen gewonnen.
Dazu kommt: Der Schonbetrag für Vermögen sinkt von 100.000 Euro auf 50.000 Euro, wenn du deine Immobilie verkaufst. Das bedeutet: Wenn du 60.000 Euro aus dem Verkauf auf dem Konto hast, ist das über dem neuen Schonbetrag - und du verlierst die Grundsicherung. Viele Senioren merken das erst, wenn die Kürzung kommt - und dann ist es zu spät.
Welche Anbieter gibt es - und wie wählt man den richtigen?
Es gibt über 120 Anbieter in Deutschland. Die fünf größten - Deutsche Teilkauf, RentePlusImmobilie, Volksbank Teilverkauf, Immoverkauf24 und DTK - kontrollieren zusammen 43 Prozent des Marktes. Das bedeutet: Du hast Auswahl, aber auch Risiko. Viele kleinere Anbieter sind nicht reguliert - und das ist gefährlich.
Seit Januar 2024 müssen alle gewerblichen Anbieter eine Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz (KWG) haben. Das hat die Zahl der Anbieter von 150 auf 120 reduziert. Achte also darauf: Nur Anbieter mit BaFin-Zulassung sind seriös. Frag nach der Erlaubnisnummer - und prüfe sie auf der Website der BaFin.
Ein weiterer Trend: Seit 2023 bieten 68 Prozent der Anbieter sogenannte „abgekürzte Leibrenten“ an. Das sind Verträge mit fester Laufzeit - meist 15 bis 20 Jahre. Die monatliche Rente ist höher, aber du bekommst sie nicht lebenslang. Der Ertragsanteil liegt bei 25-35 %, also deutlich höher. Das lohnt sich nur, wenn du eine kurze Lebenserwartung hast - oder wenn du die Rente für eine bestimmte Ausgabe brauchst, etwa eine Pflegekostenfinanzierung.
Ein neues Angebot: die indexgebundene Leibrente. Hier wird die Rente jährlich an die Inflation angepasst - meist am Verbraucherpreisindex. 41 Prozent der Anbieter bieten das heute an. Das ist gut für langfristige Planung. Aber: Solche Verträge sind teurer für den Anbieter. Deshalb ist die Anfangsrente oft niedriger als bei einer fixen Variante.
Was du unbedingt vermeiden solltest
- Kein Notar: Ohne notarielle Beurkundung ist der Vertrag wertlos.
- Keine Garantiezeit: Ohne Garantiezeit stirbst du, und dein Erbe bekommt nichts - egal, wie viel du in die Immobilie investiert hast.
- Keine Inflationsanpassung: Deine Rente wird mit der Zeit wertlos, wenn sie nicht angepasst wird.
- Keine Prüfung der Anbieter: Nicht jeder, der „Leibrente“ sagt, ist seriös. Prüfe die BaFin-Zulassung.
- Keine Steuererklärung vergessen: Die Leibrente muss in Zeile 42 des Einkommensteuerformulars angegeben werden - nur der Ertragsanteil in Zeile 43. 37 Prozent der geprüften Fälle hatten Fehler - mit durchschnittlich 2.145 Euro Nachforderung.
Wie geht es weiter? Die Zukunft der Leibrente
Die Bundesregierung prüft eine Änderung im Erbschaftsteuerrecht: Ab 2026 soll eine Leibrente, die vor dem 70. Lebensjahr abgeschlossen wird, nicht mehr schenkungssteuerfrei sein. Das könnte viele Verträge mit Kindern oder Enkeln unattraktiv machen.
Auch das Longevity-Risiko wird größer. Wenn Menschen immer älter werden, müssen Anbieter länger zahlen - und das kostet Geld. Experten warnen: Wenn die Lebenserwartung weiter steigt, könnten Anbieter die Rente kürzen - oder die Verträge gar nicht mehr anbieten. Die indexgebundene Variante könnte dann zum Standard werden. Aber das bedeutet auch höhere Kosten für dich als Verkäufer - denn der Anbieter muss das Risiko abfedern.
Die Leibrente ist kein Allheilmittel. Sie ist ein Werkzeug - und wie jedes Werkzeug muss man es richtig benutzen. Wer sie als Einkommensquelle nutzt, ohne die sozialen und steuerlichen Folgen zu prüfen, läuft Gefahr, aus dem einen Problem in ein anderes zu geraten. Wer sie mit Fachwissen und klarem Kopf einsetzt, kann damit ein sicheres, selbstbestimmtes Alter finanzieren - ohne auszuziehen, ohne zu verarmen, ohne zu verzichten.
Ist eine Leibrente steuerfrei?
Nein, die Leibrente ist nicht steuerfrei. Nur ein Teil - der Ertragsanteil - ist steuerpflichtig. Dieser Anteil hängt vom Alter beim ersten Zahlungsbeginn ab und liegt zwischen 1 % und 18 %. Der Rest gilt als Rückzahlung des Verkaufserlöses und ist steuerfrei. Wer unter dem Grundfreibetrag von 9.744 Euro (Alleinstehende) bleibt, zahlt keine Steuer.
Kann ich die Leibrente an meine Kinder vererben?
Nein, die Leibrente endet mit deinem Tod - es sei denn, du hast eine Garantiezeit vereinbart. Dann zahlt der Käufer weiter, bis die Garantiezeit abgelaufen ist. Die verbleibenden Zahlungen gehen dann an deine Erben. Ohne Garantiezeit ist kein Erbe möglich. Das ist ein zentrales Risiko, das viele unterschätzen.
Wird die Leibrente auf die Rente angerechnet?
Die Leibrente wird nicht auf die gesetzliche Rente angerechnet. Sie ist ein eigenständiges Einkommen. Aber sie wird auf die Grundsicherung im Alter angerechnet - und zwar zu 100 %. Jeder Euro Leibrente senkt deine Sozialhilfe um einen Euro. Das kann den finanziellen Vorteil komplett aufheben.
Kann ich die Immobilie trotz Leibrente vermieten?
Nein, wenn du eine Leibrente mit Wohnrecht vereinbarst, darfst du die Immobilie nicht vermieten. Du bleibst Bewohner, der Käufer ist Eigentümer. Du kannst nur dann vermieten, wenn du das Wohnrecht aufgibst - was den Vertrag aufhebt. Es gibt aber Ausnahmen: Wenn du die Immobilie an einen Verwandten verkaufst und weiterhin wohnst, aber keine Wohnrechtsvereinbarung hast, kann das als Mietverhältnis gewertet werden - mit steuerlichen Folgen.
Was passiert, wenn ich die Leibrente nicht versteuere?
Wenn du die Leibrente nicht in deiner Steuererklärung angibst, kann das Finanzamt Nachforderungen stellen - oft mit Zinsen und Bußgeldern. Eine Analyse aus Baden-Württemberg zeigt: 37 Prozent der geprüften Fälle hatten Fehler bei der Angabe des Ertragsanteils. Die durchschnittliche Nachforderung lag bei 2.145 Euro. Es lohnt sich nicht, das zu ignorieren.
Kann ich die Leibrente kündigen?
Nein, eine Leibrente ist lebenslang und nicht kündbar. Der Vertrag ist bindend. Du kannst nicht einfach zurücktreten, weil du die Rente nicht mehr brauchst oder weil du dich umziehen willst. Du kannst nur verkaufen - aber das ist extrem schwierig und teuer. Es gibt keine Marktplätze für Leibrenten. Deshalb: Nur abschließen, wenn du sicher bist.
erwin dado
Dez 24, 2025 AT 09:42Das ist eine klare, gut strukturierte Erklärung. Endlich mal jemand, der nicht nur von der Leibrente schwärmt, sondern auch die Fallstricke benennt. Besonders die Warnung vor der Grundsicherung ist Gold wert.